Geschichtenerzählen in der Klimakrise: Verantwortung oder Verdrängung? 

Wie die Green Storytelling Checklist helfen kann, Nachhaltigkeit dramaturgisch sinnvoll zu integrieren

von Dr. Julia Dordel, Dr. Sarah Maike Reinerth und Ron Kellermann (erschienen im Wendepunkt 04/2025)

Warum Green Storytelling*? Erzählen wir über die Welt – oder an ihr vorbei? Filme und Serien haben die Kraft, uns zu bewegen, zu inspirieren und gesellschaftliche Debatten anzustoßen (Wehrl 2023). Doch welche Geschichten erzählen wir über unseren Planeten und unseren Umgang mit der Natur? Während Klimawandel, Umweltzerstörung und Nachhaltigkeit zentrale Themen unserer Zeit sind und ein bestimmender Teil unserer Lebenswirklichkeit, werden sie in vielen Drehbüchern entweder gar nicht behandelt oder nur klischeehaft und oberflächlich integriert. Die Green Storytelling Checklist wurde entwickelt, um Drehbuchautor*innen, Dramaturg*innen und Produzent*innen ein Bewusstsein für die dramaturgische Integration von Nachhaltigkeit zu vermitteln – ohne dabei die kreative Freiheit einzuschränken. Denn jede Geschichte vermittelt – ob bewusst oder unbewusst – eine Botschaft über unsere Beziehung zur Umwelt. Wir plädieren dafür, dass wir uns als Filmschaffende dieser Verantwortung bewusst sind (oder werden) und reflektieren, welche Werte und Haltungen eine Geschichte transportiert – auch dann, wenn Nachhaltigkeit kein zentrales Thema ist.

Die meisten Filme und Serien spiegeln nicht die Realität unserer von multiplen Krisen geprägten Welt wider. Fiktive Städte sind selten von Smog oder Klimakatastrophen betroffen, es gibt keine Plastikmüllberge, und Nachhaltigkeit ist kaum Teil des Alltags fiktionaler Figuren. Werden Klimakrise und Nachhaltigkeit hingegen thematisiert, geschieht dies häufig auf problematische, klischeebehaftete Weise:

Dystopien zeigen Umweltkatastrophen oft als unaufhaltbares Schicksal, statt lösungsorientierte Perspektiven aufzuzeigen. So spielt MAD MAX – FURY ROAD (2015) in einer durch Klimakatastrophen und Kriegen völlig zerstörten Wirklichkeit, in der nur noch Chaos, Gewalt und Ressourcenknappheit herrschen. Der Film zeigt keinen Lösungsansatz für Umweltprobleme, sondern inszeniert eine Welt, die als endgültig verloren scheint. 

Umweltaktivist*innen werden oft als weltfremde, moralisierende und dogmatische Spaßbremsen dargestellt, statt als glaubwürdige Identifikationsfiguren, die für den Schutz unserer Lebensgrundlagen eintreten. In der Folge LISA THE TREE HUGGER aus der Animationsserie THE SIMPSONS (2000) verliebt sich Lisa in einen charismatischen Umweltaktivisten, der sich als oberflächlicher Poser entpuppt. Umweltaktivismus wird hier als naives, idealistisches und nicht ernst zu nehmendes Hobby inszeniert.

Nachhaltige Lebensentwürfe werden häufig als Verzicht und Verlust inszeniert, statt dass ihr bereicherndes, kreatives Potenzial in den Mittelpunkt gestellt wird. INTO THE WILD (2007) zeigt das Leben in der Natur als radikalen Rückzug aus der Gesellschaft, bei dem der Protagonist durch seine verklärte Sicht auf Selbstversorgung letztlich scheitert. Nachhaltiges Leben wird hier mit Isolation und Gefahr gleichgesetzt. 

Sowohl das Ignorieren der Klimakrise als auch die einseitige und klischeehafte Darstellung verzerren unser Bild von der Welt, und wir verpassen die Chance, gesellschaftliche Veränderungen durch Storytelling anzustoßen.



Problematische Darstellungen und ihre Auswirkungen

Die Art und Weise, wie Filme und Serien Umweltfragen thematisieren (oder ignorieren), hat reale Konsequenzen. Medien können eine zentrale Rolle als Vermittler von Nachhaltigkeitsthemen einnehmen und so das Bewusstsein für nachhaltige Lebensweisen fördern, wenn sie in populären Medien als normal dargestellt werden (Grünwald et al. 2024, Adolf-Grimme-Institut 2004). Umgekehrt verharmlosen Filme, die Umweltprobleme ausblenden oder Lösungen unrealistisch inszenieren, die Dringlichkeit der Klimakrise (siehe „Kultivierungshypothese“, Wulff 2003):

Das Bild des „romantischen Naturverbrauchs“ – Viele Filme glorifizieren den Rückzug in die Natur, ohne die ökologischen Folgen zu zeigen. Sie präsentieren etwa ein romantisches Picknick an einem lauwarmen Sommerabend auf einer sattgrünen Wiese im August oder einen Strandurlaub im Hochsommer, ohne auf Hitze, Belastung durch UV-Strahlung oder die Folgen des Massentourismus einzugehen. Ebenso wird die Vorstellung von weißen Weihnachten aufrechterhalten, während in vielen Regionen mittlerweile 10 Grad und Regen an Heiligabend die Realität ist.

Die nebensächliche Klimakrise – In modernen Science-Fiction-Filmen sind Umweltkatastrophen zwar oft ein Hintergrundmotiv, doch sie beeinflussen selten die Handlung oder bieten realistische Lösungsansätze. Stattdessen bleiben sie Bedrohungen, die nicht weiter hinterfragt werden. In SNOWPIERCER (2013) führt ein misslungenes Geoengineering-Experiment zu einer neuen Eiszeit, die die Erde unbewohnbar macht. Der Film nutzt diese ökologische Katastrophe allerdings hauptsächlich als Hintergrund, um soziale Ungleichheit und Machtkämpfe innerhalb eines ständig fahrenden Zuges darzustellen. Die ökologischen Ursachen und mögliche Lösungsansätze werden kaum thematisiert. 

Unrealistische Technofix-Lösungen – Einige Filme vermitteln die Botschaft, dass zukünftige Technologien Umweltprobleme magisch lösen werden, anstatt nachhaltige Verhaltensweisen und gesellschaftlichen Wandel in den Mittelpunkt zu stellen. So wird in GEOSTORM (2017) die Klimakrise durch ein Satellitensystem kontrolliert, das das Wetter steuert. Der Konflikt der Geschichte entsteht, weil das System manipuliert wird. Sonst wäre es eine Lösung des Klimawandels. Die Idee des Films, dass technologische Kontrolle das Klima dauerhaft stabilisieren kann, ignoriert dabei die eigentlichen Ursachen des Klimawandels sowie nachhaltige Lösungsansätze.



Positive Gegenentwürfe: Nachhaltigkeit als erzählerische Bereicherung

Studien belegen, dass sich Zuschauende grundsätzlich eher mehr als weniger Inhalte zur Realität der Klimakrise wünschen und die Behauptung vom Themenüberdruss eine trügerische „gefühlte Wahrheit“ ist (Giaccardi et al. 2022; Hoppe & Neverla 2023; Schneider-Mayerson et al. 2024). Dass trotzdem ein Teil des Publikums und auch viele Kreative unzufrieden damit sind, wie Umwelt- oder Klimastoffe umgesetzt werden, hat daher möglicherweise etwas mit der Art und Weise zu tun, wie dies geschieht.

Dabei gibt es schon jetzt zahlreiche Beispiele, in denen der Umgang mit der Klimakatastrophe dramaturgisch gelungen integriert wurde: FAMILIER SOM VORES (FAMILIES LIKE OURS, 2025) macht die weiße Mehrheitsgesellschaft zu Klimaflüchtenden und führt die drastischen Veränderungen vor Augen. Die vierte Staffel der dänischen Serie BORGEN (2022) fächert die Abhängigkeit von fossilen Rohstoffen hochspannend in politischer, gesellschaftlicher und zwischenmenschlicher Hinsicht auf. BEASTS OF THE SOUTHERN WILD (2012) und STATION ELEVEN (2021) erzählen von Solidarität und Kooperation in Kollapssituationen.

Diese und andere Beispiele zeigen, dass Green Storytelling nicht belehrend oder moralisierend sein muss, sondern dass es spannende Konflikte, tiefgründige Charaktere und innovative Erzählstrukturen fördern kann (vgl. auch Klein 2025). 

Aber wie kann Green Storytelling in Geschichten integriert werden? Ein hilfreiches Instrument dafür ist die Green Storytelling Checklist.



Wie funktioniert die Green Storytelling Checklist?

Die Green Storytelling Checklist ist ein praxisnahes Werkzeug für Drehbuchautor*innen, Dramaturg*innen, Produzent*innen, Redakteur*innen und andere Entscheidungsträger*innen in der Film- und Medienbranche. Sie kann sowohl in der frühen Stoffentwicklung als auch in späteren Drehbuchfassungen eingesetzt werden, um die Themen Klimawandel, Biodiversität, Artensterben, Naturschutz und Nachhaltigkeit in die Geschichten zu integrieren, Erzählstrategien zu reflektieren und zu optimieren. Sie ist grundsätzlich für alle Genres anwendbar und kann, auch wenn sie vor allem mit Blick auf fiktionale Erzählungen entwickelt wurde, leicht für dokumentarische Formate oder sogar ganz andere Medien- und Textgattungen wie Prosaliteratur oder Zeitungsartikel, adaptiert werden. 

Die Anwendung der Checkliste ist flexibel: Sie kann als Orientierungshilfe für die Entwicklung neuer Projekte dienen oder bestehende Drehbücher auf die Integration der aufgeführten Themen überprüfen. Sie ist kein starres Regelwerk, sondern ein inspirierendes Tool, das Autor*innen und Kreativschaffende dazu ermutigen soll, innovative und nachhaltige Geschichten zu erzählen und Nachhaltigkeit dramaturgisch sinnvoll zu verankern – auch über die Fragen der Checkliste hinaus. 

 

Einfache Fragen sollen den Anwender*innen helfen, eine nachhaltige Perspektive in der Narration zu verankern, ohne sie in bestimmte Muster zu zwängen, das zukünftige Publikum des Films aus der Geschichte zu reißen oder gar Ablehnung zu erzeugen.



Dimensionen des Green Storytelling

In der Green Storytelling Checklist unterscheiden wir drei Dimensionen von Green Storytelling:

Pragmatisches Green Storytelling – Drehbuchentscheidungen, die eine nachhaltige Filmproduktion unterstützen, etwa durch ressourcenschonende Drehorte, Kostüme oder Effekte, und damit eine Schnittstelle zur ökologischen Filmproduktion bilden.

Implizites Green Storytelling – Nachhaltigkeit wird im Hintergrund der Geschichte eingebettet, etwa durch umweltfreundliche Lebensweisen der Figuren oder eine Welt, in der nachhaltige Strukturen selbstverständlich sind.

Explizites Green Storytelling – Umweltprobleme, Klimawandel, Biodiversität oder nachhaltige Innovationen stehen im Zentrum der Handlung und beeinflussen das Leben der Charaktere direkt und maßgeblich.

Die verschiedenen Ansätze ermöglichen es, ökologische Themen unsichtbar, subtil oder ganz bewusst in die Erzählung zu integrieren und lassen sich auch kombinieren:

Wie können Anreize für grünes Drehen schon in der Drehbuchphase gesetzt werden? Welche impliziten Botschaften vermittelt die Geschichte über unser Verhältnis zur Umwelt oder die Selbstverständlichkeit nachhaltiger Lebensweisen?Ist das Thema essenziell für die Geschichte oder bloße Kulisse?



Fazit: Nachhaltige Geschichten für eine nachhaltige Zukunft

Mit ihren Geschichten prägen Filme und Serien unser Weltbild. Sie beeinflussen, wie wir über Klimawandel, Ressourcenverbrauch und nachhaltiges Leben denken. Die Green Storytelling Checklist bietet eine Möglichkeit, diese Themen dramaturgisch sinnvoll zu reflektieren und kreative Erzählweisen zu entwickeln, die nicht nur unterhalten, sondern auch inspirieren.

Wichtig ist dabei anzuerkennen, dass audiovisuelle Erzählungen nicht im luftleeren Raum existieren, sondern in der Gesellschaft auf Vorstellungen zu Nachhaltigkeit, Klimakrise und Transformation treffen, die ebenfalls narrativen Charakter haben (vgl. etwa Dürbeck 2018). Mit diesen wirken Filme und Serien zusammen, sie können sie verstärken oder gegen sie anarbeiten, oder gänzlich neue Narrative prägen.

Letztlich erzählen wir nicht nur Geschichten über die Welt – wir formen mit ihnen auch die Zukunft, die wir erschaffen wollen.



Die Green Storytelling Checklist ist auf Deutsch und Englisch u.a. hier zu finden: https://filmbuero-nds.de/service/toolkits.html



*Die Verwendung des Begriffs „Green Storytelling“ wird kontrovers diskutiert. Wir haben uns bewusst für diese Bezeichnung entschieden, da sie für viele Menschen intuitiv verständlich ist, auch wenn sie noch nicht mit dem Konzept vertraut sind. Es gibt zahlreiche Synonyme und verwandte Begriffe, die ähnliche Ansätze beschreiben, darunter Sustainable Storytelling, Future Storytelling, Transformatives Erzählen, Planet Placement, Sustainable Storytelling, Eco-Storytelling, Environmental Storytelling, Climate Storytelling, Narrative Sustainability, u.a. Trotz unterschiedlicher Nuancen verfolgen diese Begriffe das gemeinsame Ziel, ökologische und nachhaltige Themen auf sinnvolle Weise in Geschichten zu integrieren.



Quellenangaben